Das digitale Gebäude bzw. das digitale Quartier prägt bereits heute immer stärker die Diskussionen der Branche – sowohl für den Bestand als auch den Neubau. Letztlich können effiziente und digitale Prozesse der Wohnungswirtschaft nur mit einem ausreichend digitalen Gebäude als Basis funktionieren.
Darüber hinaus stellt die richtige, digitale Technologie in den Gebäuden auch das Erreichen anspruchsvoller Nachhaltigkeitsziele sicher. Effizientes Heizen, verbrauchsarme Aufzüge und geringe C02-Belastung durch Logistik und Mobilität im Quartier können nur auf Basis der richtigen Technologie erreicht werden.
Das Wichtigste in Kürze
- Das digitale Quartier kann nur funktionieren, wenn die technische Ausstattung (Stichwort digitales Gebäude) auf die jeweiligen Use Cases abgestimmt wird.
- Die Einigung auf technische Standards (besonders im Bereich API) ist elementar, um ein effektives Bestandsmanagement zu ermöglichen.
- Die Wohnungswirtschaft muss eine kontrollierende Rolle übernehmen – und in zentralen Bereichen Forderungen an die Hersteller von digitalen Lösungen stellen.
Worum also geht es? Im Wesentlichen reden wir von vier Elementen:
- Sensoren an Türen, Heizungen, Aufzügen, etc.,
- Gateways für die Konnektivität,
- die Cloud-Infrastruktur,
- die Frontends zur Verwaltung und Steuerung der jeweiligen Gewerke.
Dadurch sind Wohnungsunternehmen mit einer allgemeingültigen Frage konfrontiert: Wie soll mein digitales Gebäude aussehen?
Schauen wir uns die 4 Ebenen im Kontext des digitalen Zutritts einmal genauer an.
1. Sensoren an den Türen
Die Funktion einer Tür ist im Grunde einfach: Es geht darum, ein Loch in der Wand temporär zu verschließen. Dazu gibt es unzählige Ausprägungen.
Das wichtigste erste Unterscheidungsmerkmal ist die Türart: Haustüren, Wohnungstüren, Schranken, Tore und Aufzüge unterscheiden sich teilweise fundamental. Manche dieser Türen sind elektrifiziert, andere nicht; einige Türen sind seit 50 Jahren im Objekt, andere werden im Neubau erstmals verbaut. Bei einigen Türen wird der Sensor werksseitig im Türblatt verbaut, bei anderen am Beschlag nachgerüstet oder in die Klingelanlage integriert, um den Summer anzusteuern. An einigen Installationsorten gibt es hervorragende Funkverbindungen, an anderen nicht. Dadurch muss der jeweils notwendige Sensor unterschiedlichste Anforderungen erfüllen.
Auch die Fragen, ob eine Tür nur mit einer Smartphone-App oder zusätzlich auch mit einem Transponder entriegelt werden kann, ob Offline-Funktionen möglich sein oder ob Türen auch aus der Ferne geöffnet werden sollen, definiert die Eigenschaften des Sensors und erfordert eine entsprechend hohe Expertise des Anbieters. Eine Vereinheitlichung erscheint hier wenig sinnvoll, auch eine Kontrolle über die einzelnen Sensoren aus Sicht des Wohnungsunternehmens wirkt aufgrund der notwendigen tiefen technischen Expertise nicht angebracht.
2. Gateways für die Konnektivität
Das Gateway dient letztlich “nur” der Verbindung des Sensors mit den Servern. Wichtig ist hier eine sichere Datenübertragung. Wie beim Sensor gilt auch für das Gateway, dass die verschiedenen Use Cases jeweils eigene Anforderungen an Hard- und Software stellen. Das gilt bereits innerhalb eines Gewerks, erst recht jedoch zwischen verschiedenen Gewerken.
Schauen wir uns das Gateway am Beispiel des digitalen Zutritts an.
Wenn das System ausschließlich Öffnungen mit dem Smartphone an der Tür ermöglichen soll, kann sogar komplett auf das Gateway verzichtet werden, da das Smartphone als Gateway fungieren kann. Dieser Use Case ist für Mehrfamilienhäuser in nahezu allen Fällen allerdings nicht ausreichend, entsprechend benötigt eine sinnvolles digitales Zutrittssystem für Mehrfamilienhäuser ein Gateway.
Dann stellt sich die Frage, welche Latenz der Datenübertragung akzeptabel ist, was gerade bei der Möglichkeit der Fernöffnung im Bereich von Millisekunden liegt. Damit ist die Latenz – neben weiteren Kriterien – ein wichtiges Merkmal für Gateways im digitalen Quartier. Für andere Gewerke sieht es anders aus: Für Messdienste reicht z. B. eine sehr viel höhere, größere Latenz. Entsprechend reichen hier sogar batteriebetriebene Gateways.
Ein weiteres wichtiges Merkmal der Gateways ist der genutzte Funkstandard. Auch hier ist der Use Case entscheidend. Zahlreiche Optionen stehen aktuell zur Verfügung: vom Mobilfunk über LAN/Wlan, PoE, UWB und NBIoT bis hin zu Lora ist einiges möglich.
Trotz der verschiedenen technischen Standards und Anforderungen bleibt ein Gateway letztlich ein „dummer“ Datenübermittler und es ist wenig überzeugend, hier pro Haus viele verschiedenen Gateways zu installieren. Entsprechend sollte die Wohnungswirtschaft an dieser Stelle eine kontrollierende Rolle übernehmen und auf Basis ausgewählter Funkstandards ein Standard-Gateway entwickeln (lassen), bei dem auch die Funkausleuchtung des digitalen Gebäudes mitgedacht wird. Das hat neben dem Vorteil der Kostenreduktion aufgrund weniger Gateways auch den großen Vorteil für Wohnungsunternehmen, dass sie einen hohen Grad der Kontrolle über das digitale Gebäude – und deren Geschäftsmodelle – halten.
3. Cloud-Infrastruktur
Die entscheidende Wertschöpfungsebene bei digitalen Applikationen passiert letztlich bei allen Gewerken auf dem Server. Hier liegt das Rechtemanagement der digitalen KIWI-Zutrittsplattform, hier werden die Metering-Daten gesammelt und aufbereitet – hier sitzt also das „Gehirn“ der verschiedenen Applikationen. Entsprechend ist auch hier eine große Software- und Prozess-Expertise für das jeweilige Produkt notwendig und eine Kontrolle durch das Wohnungsunternehmen nicht sinnvoll – erst recht keine lokale Server-Ebene beim Wohnungsunternehmen.
Entscheidend sind hier allerdings digitale Schnittstellen, sogenannte offene APIs. Jeder Anbieter muss hier einen Mindestumfang an offenen Schnittstellen zur Verfügung stellen, damit Applikationen auch aus unterschiedlichste Frontends genutzt werden können und Stammdaten nicht an mehreren Orten ein autarkes Eigenleben führen. Gerade die Schnittstellen zu den EPR-Systemen sind wichtig, genauso aber auch zwischen einzelnen Anbietern des digitalen Gebäudes. Die Konnektivität ist die Grundausstattung für das digitale Quartier – sonst funktioniert es nicht. Ohne eine Verknüpfung ist die Handhabung der verschiedenen Anwendungen nicht effizient zu bewerkstelligen, der anvisierte Mehrwert verpufft oder stellt sich erst gar nicht ein.
Wichtig ist außerdem ein DSGVO-konformer Cloud-Anbieter.
4. Frontends
Das letzte Element der Produktkette ist das Frontend. Hier werden die spezifischen Signale eingegeben („Tür auf“, „Heizung wärmer“) und Daten zurückgespielt. Im Fall von KIWI ist das das KIWI Portal, das über den Internetbrowser aufgerufen werden kann. Das Portal ist die Zentrale des digitalen Schließsystems. Hier werden Nutzer:innen und Zutrittsrechte verwaltet.
Als potentielle Steuereinheit für externe digitale Lösungen kommt dem Frontend eine besondere Bedeutung zu. Werden mehrere Systeme miteinander gekoppelt – z. B. KIWI mit einer Mieter-App – lassen sich über ein Frontend bei Bedarf beide Applikationen steuern – oder ggf. noch weitere. Die Applikationen teilen sich also nicht nur die Stammdaten (eine doppelte Datenpflege fällt damit weg), sondern auch eine Benutzeroberfläche, was das Arbeiten im Alltag ungemein erleichtert. Die Nutzung von mehreren unterschiedlichen Oberflächen fällt ebenfalls weg und damit auch das Einloggen in zwei oder noch mehr Applikationen.
Wie das in der Praxis aussehen kann, hat z. B. der KIWI-Hackathon aus dem vergangenen Jahr gezeigt, bei dem die Teilnehmer das digitale Schließsystem mit anderen Lösungen verknüpften, so dass eine Verwaltung beider Systeme über eine Oberfläche reibungslos funktionierte.
Auch hier muss noch einmal auf die Wichtigkeit von offenen APIs hingewiesen werden! Ohne technische Schnittstellen ist die Verknüpfung der Anwendungen nicht möglich. Übrigbleiben würde lediglich eine Ansammlung loser “Insellösungen”, die viel Aufwand und Zuwendung erfordern.
Der Weg vom analogen Gebäude zum digitalen Quartier
Wie gezeigt besteht die technische Infrastruktur des Gebäudes aus vier Elementen, was mehr oder weniger für verschiedene Gewerke vergleichbar ist.
Dieser individuelle Weg pro Gewerk über alle 4 Ebenen ist aus Sicht der Wohnungsunternehmen allerdings nicht wirklich zielführend. Entsprechend sind einheitliche Standards für ein effizientes digitales Ökosystem wichtig. Besonders auf der Ebene der Konnektivität (Gateways) und API-Schnittstellen ist eine Vereinheitlichung wichtig. Das Zielbild kann also wie folgt aussehen:
Was bedeutet das für Wohnungsunternehmen? Sie sollten bei der Auswahl von Herstellern auf die entsprechenden Möglichkeiten und Offenheit des Anbieter achten. Außerdem müssen sie eine Grund-Kompetenz im Bereich der Software entwickeln – ohne deshalb gleich zu Softwarefirmen zu werden. Außerdem können Wohnungsunternehmen gemeinsame Initiativen wie z.B. die neu gegründete DigiWoh oder Initiativen wie die IDiT nutzen, um die Entwicklung aktiv mit zu gestalten.
Der Experte für Wohnungswirtschaft Karsten Nölling ist seit September 2016 Vorsitzender der Geschäftsführung der KIWI.KI GmbH. Bereits seit Ende 2014 war er als Vertriebsleiter bei KIWI tätig und Mitglied des Executive Committees. Vor KIWI entwickelte er als Firmengründer einen digitalen Concierge Service für Hotels und war als Head of Operations für das Startup 9flats verantwortlich. Davor war Karsten Nölling Unternehmensberater bei McKinsey & Company und Projektleiter für Lean Manufacturing bei Mercedes-Benz. Sie finden ihn auf Twitter und LinkedIn.