Digitale Lösungen für die Wohnungswirtschaft gibt es für fast jeden Use Case. Welche Potentiale für die Branche dahinter stecken, ist allerdings nicht immer sofort ersichtlich. Was alles möglich ist, zeigt das Beispiel digitaler Zutritt.
Das Wichtigste in Kürze
- Die wesentlichen Herausforderungen der Wohnungswirtschaft sind verknüpft mit dem Zugang zu den Immobilien.
- Mit dem digitalen Zutritt entsteht derzeit eine komplett neue Infrastruktur-Kategorie für die Immobilienbranche.
- Die Wohnungsunternehmen besitzen mit der Haustür einen strategischen Kontrollpunkt, der neue Geschäftsmodelle ermöglicht.
Dieser Beitrag ist ein Auszug aus dem Positionspapier von Karsten Nölling, CEO von KIWI. Das komplette Positionspapier kann unter folgendem Link kostenlos heruntergeladen werden:
[cta-positionspapier]Digitaler Zutritt betrifft alle Kunden, Partner und Mitarbeiter*innen der Immobilienbranche. Alle Nutzer*innen und alle Use Cases sind direkt betroffen, entsprechend zahlt digitaler Zutritt direkt auf alle wesentlichen Herausforderungen der Wohnungswirtschaft ein. Insbesondere umfasst dies folgende Dimensionen:
Prozesseffizienz und -automatisierung:
Einsparungen durch einfachen Zutritt bei Reparaturen, digitalen Hausmeisterdiensten, Wohnungsbesichtigung, etc. Die Einsparungen liegen hier im Schnitt bei über 1.000 Euro p. a. pro Mehrfamilienhaus.
CO2-Reduktion:
Durch Wegfall physischer Schlüsselübergaben, einfachere Letzte-Meile-Logistik, etc. werden über 70 kg CO₂ p. a. pro Mehrfamilienhaus (MFH) eingespart. Allein in Deutschland wären das auf alle ca. 2,3 Mio. MHF also über 160.000 Tonnen CO2 pro Jahr.
Neue Geschäftsmodelle:
Mieterdienstleistungen, Shared Mobility, erhöhte Sicherheit, Ambient Assisted Living, Komfort, etc.
Sicherheit und Datenhoheit über alle Use Cases:
DSGVO-konforme Datenerfassung und -Zutrittsprotokolle für Mitarbeiter, Mieter und Dienstleister – vom Heizraum bis zur Wohnungstür.
Zukunftsfähigkeit Smart Building und Digitalisierung:
Signifikante Wertsteigerung durch digitale Infrastruktur.
Letztlich entsteht mit digitalem Zutritt eine komplett neue Infrastruktur-Kategorie für die Immobilienbranche. Während es die Immobilienbranche beispielsweise bei Kabel und Metering weitestgehend verpasst hat, diese Infrastruktur-Kategorien wirklich mitzugestalten oder sogar an den teilweise sehr attraktiven Geschäftsmodellen zu partizipieren, hat sie jetzt die Chance, beim Thema digitaler Zutritt anders zu agieren.
Anders formuliert: Die Wohnungsunternehmen besitzen mit der Haustür einen strategischen Kontrollpunkt, dem sie bisher jedoch keinen echten Wert beimessen – sondern Zutritt stattdessen zumeist noch als reinen Kostenfaktor betrachten.
[download-positionspapier]Geschäftsmodell und Marktgröße
Das Geschäftsmodell von digitalem Zutritt besteht – vergleichbar mit Software-as-a-Service-Modellen (SaaS) – aus einmaligen Einrichtungsgebühren und monatlichen Betriebskosten. Das ist interessanterweise im Kern für die Wohnungs- oder Immobilienwirtschaft nicht neu, auch wenn sie bei der Digitalisierung bisher im Vergleich zu anderen Branchen noch hinterherläuft. Die Branche kennt sowohl SaaS-vergleichbare Modelle mit monatlichen Gebühren als auch Betriebskostenmodelle sehr gut.
Letztlich kann man argumentieren, dass das eigentliche Geschäftsmodell der Immobilienbranche über monatliche Mieten nichts anderes als ein äußerst stabiles Service-Modell mit festen monatlichen Gebühren ist – also SaaS-Modellen sehr vergleichbar.
Neu ist, dass dies auch für digitalen Zutritt gilt, also für einen Bereich, der bisher weder digital noch als Service-Modell funktioniert hat. Im Gegenteil, der Bereich Zutritt ist wie viele weitere Gewerke bisher extrem weit weg vom Servicegedanken. Der Großteil der Industrie – mechanisch, mechatronisch und elektronisch – weiß heute nicht, wo ihre Produkte verbaut sind oder wer sie wie nutzt. Und auch die Wohnungswirtschaft akzeptiert bisher diesen Status Quo oft noch als Stand der Technik und hinterfragt häufig große Wände voller Metallschlüssel nicht.
Spannend ist natürlich auch die Frage nach der Marktgröße: Mit digitalem Zutritt entsteht eine neue Infrastruktur-Kategorie für die Immobilienbranche, entsprechend sind Vergleiche mit anderen Infrastruktur-Kategorien sinnvoll. Messdienstleister, die eine eigene Infrastruktur mit Hardware- und Softwarekomponenten bedienen, können ein interessanter Startpunkt sein. Gleichzeitig sind die Unterschiede trotz vieler Gemeinsamkeiten natürlich sehr groß und digitaler Zutritt als Kategorie durch die vielen Nutzergruppen und Use Cases letztlich deutlich komplexer. Das wird durch folgende Grafik einfach greifbar („Die Nutzungsfrequenz wichtiger Gewerke der Immobilienbranche“):
Gerade beim Smart Building wird die herausgehobene Bedeutung von digitalem Zutritt klar. Eine Möglichkeit der Veranschaulichung dazu ist dabei, wie in der Darstellung gezeigt, die Nutzungsfrequenz der verschiedenen (digitalen) Gewerke im Objekt über die verschiedenen Nutzergruppen zu visualisieren.
Implizit steckt in der Darstellung auch der Grad der Vernetzung. Während bspw. Kabel, Heizung oder Aufzug selbstverständlich extrem relevante Gewerke im Gebäude sind, sind sie in Bezug auf die Anzahl der Nutzergruppen bzw. Use Cases wenig komplex. Zutritt auf der anderen Seite weist den mit Abstand höchsten Grad der Vernetzung auf – und hat damit die größte Gemeinsamkeit für alle Nutzer*innen.
Der einfache Vergleich mit anderen Infrastruktur-Kategorien ist allerdings nicht ausreichend, um zu einer Abschätzung der Marktgröße dieser neuen Infrastruktur-Kategorie zu kommen. Wenn man sich die Letzte-Meile-Logistik als eine wichtige Nutzergruppe von digitalem Zutritt anschaut, kommt man ebenfalls auf interessante Einsparpotenziale, aus denen sich die Marktgröße ableiten lässt: Bis zu 10 Minuten betragen allein durch digitalen Zutritt die Einsparungen pro Lieferung laut einem Bericht im Wall Street Journal.
Als weiteres und letztes Beispiel an dieser Stelle kann man die Marktgröße auch über die Zahlungsbereitschaft pro Nutzergruppe und Use Case errechnen. Dazu ein Beispiel zur Abschätzung der maximalen Zahlungsbereitschaft für eine einzelne Tür-Öffnung aus Bewohner-Sicht, das jeder kennt: Die Öffnung der Wohnungstür durch einen Schlüsseldienst beträgt heute schnell bis zu mehreren hundert Euro.
Es gibt also viele Ansätze zur Berechnung. Es bleibt allerdings festzuhalten, dass die globale Marktgröße bisher nicht wirklich klar ist – es gibt aber interessante Berechnungen aus anderen Quellen: So beziffert die US-Firma Latch die Marktgröße für Europa auf ca. 90 Mrd. US-Dollar, inkludiert dabei aber auch Smart-Home-Aspekte. Der US-amerikanische Access-Control-Spezialist Lee Odess geht von 70 Mrd. US-Dollar aus, umfasst aber auch weitere Regionen als nur Europa.
Der Experte für Wohnungswirtschaft Karsten Nölling ist seit September 2016 Vorsitzender der Geschäftsführung der KIWI.KI GmbH. Bereits seit Ende 2014 war er als Vertriebsleiter bei KIWI tätig und Mitglied des Executive Committees. Vor KIWI entwickelte er als Firmengründer einen digitalen Concierge Service für Hotels und war als Head of Operations für das Startup 9flats verantwortlich. Davor war Karsten Nölling Unternehmensberater bei McKinsey & Company und Projektleiter für Lean Manufacturing bei Mercedes-Benz. Sie finden ihn auf Twitter und LinkedIn.