Knapp 700.000 Wohnungen werden derzeit in Deutschland nicht errichtet, obwohl eine Baugenehmigung vorliegt. Die Gründe dafür sind vielfältig – einer davon ist das Problem der Bauwirtschaft, den Auftragsberg abzuarbeiten.
Abhilfe können Startups leisten, die sich auf die Digitalisierung der Baubranche spezialisiert haben: sogenannte ConTech-Unternehmen, die derzeit die deutsche Gründer-Szene aufmischen. Die Lösungsansätze der jungen Unternehmen sind vielversprechend und können dabei helfen, den anhaltenden “Baustau” aufzulösen.
Das Wichtigste in Kürze
- Der aktuelle “Baustau” ist womöglich nur die Spitze des Eisbergs, wenn die zahlreichen Prozesse der Baubranche nicht optimiert werden. Es geht noch schlimmer!
- Bei der Prozessoptimierung der Bauunternehmen können junge Startups helfen, sogenannte ConTech-Unternehmen.
- Lösungen gibt es mittlerweile für fast jede Phase eines Bauprojekts, von der Planung über die Materialbeschaffung bis hin zur Durchführung auf der Baustelle.
Weiter unten finden Sie eine Tabelle mit relevanten ConTechs in Deutschland.
Das Problem “Baustau”
Wohl zum ersten Mal überhaupt wohnen mehr Menschen in einem urbanen Umfeld als auf dem Land. Ganze 77 Prozent der Deutschen leben mittlerweile in Städten oder Ballungsgebieten. Die daraus resultierenden Probleme sind bekannt. Der Wohnraum in den städtischen Regionen wird knapp, die Nachfrage übersteigt das Angebot. Umso dringender wird das Problem für die Baubranche: die Abarbeitung der zahlreichen Aufträge. In den letzten zehn Jahren hat sich der “Baustau” allein in Berlin verdreifacht.
In den Betrieben fehlen Fachleute und Bauarbeiter. Bau- und Immobilienexperten prognostizieren, dass die deutsche Baubranche auch künftig nicht mehr ohne ausländische Fachkräfte zurechtkommen wird. Dabei gehe es nicht nur um bezahlbare und fähige Arbeitskräfte auf den Baustellen, sondern auch um Spezialisten wie zum Beispiel Bauplaner, die das Qualitätsversprechen des deutschen Handwerks erfüllen. Hinzu kommt der Preisdruck, der zum einen durch den Kampf auf dem Arbeitsmarkt um die besten Fachkräfte angefacht wird, und zum anderen durch den Druck, die Materialkosten auf ein Minimum zu reduzieren.
Zu kämpfen haben Planer und Behörden zudem mit den zahlreichen Anforderungen an die Bauprojekte, die immer vielfältiger werden. Baulücke ist nicht gleich Baulücke – die reibungslose Nachverdichtung von Wohngebieten wird immer schwieriger. Ein standardisiertes, serielles Bauen, das die Planungs- und Umsetzungszeit reduziert und zugleich die Materialkosten niedrig hält, ist häufig nicht möglich. Dabei sind entsprechende Lösungen nicht nur vorhanden, sondern bereits markterprobt, wie zum Beispiel die Max Bögl Modul AG zeigt.
Die Digitalisierung würde der Branche helfen, sowohl bei der Planung als auch bei der Umsetzung. Die Innovationskraft der Branche ist auf diesem Feld allerdings stark begrenzt, Impulse von außen sind notwendig. Und die liefern verstärkt die innovativen und agilen ConTechs, die häufig von Gründern außerhalb der Baubranche kommen und vorrangig in Berlin, Frankfurt und München zu Hause sind.
Das sind ConTechs
Der Begriff ConTech (Construction Technology) bezeichnet Unternehmen, die technologische Lösungen für die Baubranche anbieten. Im Fokus steht in der Regel die Optimierung von Arbeitsabläufen für sämtliche Phasen eines Bauprojekts, von der Planung bis hin zur Durchführung auf der Baustelle. ConTechs bieten zum Beispiel Softwarelösungen für die Planungs-, Prozess- und Ressourcenoptimierung an oder auch computergestützte Technologien für die Materialproduktion (Stichwort: 3D-Druck) sowie die handwerkliche Umsetzung.
Erfahren Sie hier mehr über die Abgrenzung der ConTechs zu den >> PropTechs.
Die Lösungen der ConTechs
Von Detaillösungen für kleine Handwerksbetriebe bis hin zu umfassenden Projektmanagement-Tools für große Planungsbüros und Bauunternehmer: Derzeit gibt es in Deutschland mehr als 30 Unternehmen, die man in den Bereich ConTech zählen kann. Angebote gibt es für jede Phase eines Bauprojekts an. Eine beispielhafte Auswahl:
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ConTech | Leistungsbeschreibung |
Corrux | Digitale Überwachung von Baumaschinen – Das System von Corrux überwacht Maschinen wie z. B. Bagger und analysiert die Daten in Echtzeit. Bauleiter können so die Auslastung der Maschinen überprüfen oder Probleme frühzeitig erkennen. Gründerin Laura Tönnies ist gerade einmal 25 Jahre alt und gilt bereits als Star der ConTech-Szene. Zuletzt sammelte sie über 3 Millionen Euro von Investoren ein. |
PlanRadar | Baudokumentation und Mängelmanagement – PlanRadar ermöglicht eine effektive Kommunikation sämtlicher Personen auf der Baustelle über eine Mobile App. Fotos von konkreten Orten auf der Baustelle können weitergereicht werden, um ein detailliertes Bild von Aufträgen machen zu können, inkl. exakte Lokalisierung auf dem digitalen Bauplan. |
Sablono | Baufortschrittskontrolle und Bauteilverfolgung – Die Prozessmanagement-Plattform bietet verschiedene Funktionen für Planung, Dokumentation und Auswertung von komplexen Bauprojekten an. |
Caala | Assistenz-Tool zur energetischen Vordimensionierung auf basis deutscher Normen – Caala liefert bereits in den frühen Planungsphasen eines Bauprojekts ein schnelles Feedback hinsichtlich der zahlreichen Richtlinien wie EnEV oder KFW Effizienzhaus 40. |
Alasco | Digitales Kostenmanagement für Bauprojekte – Alasco ermöglicht eine detaillierte Verteilung und Auswertung von Kosten nach spezifischen Verteilungsschlüsseln. Der Service ist digital abrufbar, also auch direkt auf der Baustelle, und ermöglicht ein papierloses Kostenmanagement. |
Sharemac, Klarx und Klickrent | Plattform für Vermietung von Baumaschinen – Anbieter wie beispielsweise Sharemac, Klarx und Klickrent vermitteln verschiedene Baumaschinen zur Anmietung. |
Digiholz | Zeiterfassungs-App – Die App ermöglicht die papierlose Erfassung von Arbeitsstunden für Bauhandwerksprojekte. Der Service ist auch mobil nutzbar. |
Fielddata | Softwarelösung für Spezialtiefbauprojekte – Die digitalen Lösungen von Fielddata ermöglichen eine Optimierung von Bauprozessen im Bereich Spezialtiefbau durch Speicherung, Verknüpfung und Auswertung aller sensorisch erfassten Daten. |
Popularc | Architekt finden – Die Plattform ermöglicht künftigen Bauherren die Skizzierung des geplanten Bauprojekts, um einen passenden Architekten zu finden. |
Plan1 und Inpera | Bauprodukte miteinander vergleichen und bestellen – Die beiden Plattformen verstehen sich als Vergleichsportal für Bauprodukte. |
Plan4 | Digitalisierung von Planungsbüros – Der Service unterstützt z. B. Architekturbüros bei der allgemeinen Digitalisierung und bei der Optimierung von Arbeitsprozessen. |
Levaru | Digitale Installation von Aufzügen – Der von Levaru konzipierte Roboter optimiert vor allem das aufwändige Einstellen der Aufzugsschienen bei einer gleichzeitigen Reduzierung der Anforderung an den Aufzugsmonteur. |
Hinzu kommen Anbieter, die nur bedingt zu den ConTechs zu rechnen sind, zum Beispiel Dienstleister, die Projektfotos zur Dokumentation und Kommunikation erstellen. Gleiches gilt für verschiedene Online-Plattformen, auf denen beispielsweise private Investoren verschiedene Bauprojekte finden können, an denen eine Beteiligung möglich ist (“Projektanbahner”). Ob der Nutzen dieser Angebote im Sinne der Definition eines ConTech-Unternehmens ist, lässt sich diskutieren.
Fazit
Die Lösungen, die ConTechs präsentieren, werden den “Baustau” nicht alleine lösen, das ist klar. Dazu gibt es zu viele Gründe für den ungewollten Leerlauf in der Branche. Neben den bekannten politischen und behördlichen Stolpersteinen gibt es zudem Bauprojekte, für die zwar eine Baugenehmigung vorliegt, die aber in der Hoffnung auf höhere Gewinne erstmal brach liegen.
Unabhängig zum “Baustau” müssen sich Bau- und Handwerksunternehmen damit anfreunden, dass es ohne einen großen Schritt in Richtung Digitalisierung nicht mehr lange gutgehen wird. Die Lösungen der ConTechs – und auch der PropTechs – zeigen, was alles möglich ist. Dass jemand bei den zahlreichen digitalen Angeboten zugreift, steht außer Frage. Bleibt abzuwarten, wer dieses sein wird. Und wer letztlich auf der Strecke bleibt.
Der Experte für Wohnungswirtschaft Karsten Nölling ist seit September 2016 Vorsitzender der Geschäftsführung der KIWI.KI GmbH. Bereits seit Ende 2014 war er als Vertriebsleiter bei KIWI tätig und Mitglied des Executive Committees. Vor KIWI entwickelte er als Firmengründer einen digitalen Concierge Service für Hotels und war als Head of Operations für das Startup 9flats verantwortlich. Davor war Karsten Nölling Unternehmensberater bei McKinsey & Company und Projektleiter für Lean Manufacturing bei Mercedes-Benz. Sie finden ihn auf Twitter und LinkedIn.
Die Immobilienbranche beschwert sich ständig, dass die Baupreise oder die Grundstückpreise zu hoch sind ohne einen eigenständigen Beitrag zur Verbesserung der Situation vorzustellen bzw. in eigener Regie zu entwickeln oder entwickeln zu lassen. Dazu müsste das schwerfällige Gebilde von Bau- und Immobilienwirtschaft, mit seinen vielfältig verflochtenen Beziehungen, Abhängigkeiten, Verflechtungen und Interessen seine Prozesse anders formulieren und praktizieren. Denn wer den „Pelz gewaschen haben möchte, ohne dabei nass zu werden“, kann lange warten.
Die Begriffe Ressourceneinsparung, Nachhaltigkeit, Green Building, abfallfreies und wasserfreies Bauen oder ESG-Kriterien werden in der Immobilienbranche von großen und kleinen Beratern aber auch von „Schönrednern“ fast inflationär als erstrebenswertes Ziel verwendet. Bisher beschränkt es sich aber auf zaghafte Holz-Beton-Mischbauweise oder Fassadenkosmetik mit Abstellflächen für Grünpflanzen. Kostensenkung und Bauzeitverkürzung im spürbaren Ausmaß, sind bisher ausgeblieben.
Eine Kosten- und Bauzeitreduzierung entsteht vor allem durch Minimierung von Ressourcen und Prozesse. Um das zu erreichen, muss es aber ein Lean-Construction-Paket aus Konstruktion als das Was, Technologie als das Wie und Logistik als das Womit sein.
Vor allem die weltweit zunehmende Knappheit von Beton-Kies, die gewaltige CO²-Emission bei der Zementherstellung und der Gewinnung und dem Transport von mineralischen Baumaterialien, sowie die ausgelasteten Kapazitäten der Deponien erfordert andersartige Konstruktionen, die hinsichtlich der Materialeigenschaften und der Materialkombinationen eine generelle Ressourcenreduzierung ermöglichen.
Weniger Material, weniger Bauteile, weniger Prozesse, weniger Kosten, weniger Bauzeit, weniger Aufwand für den Rohbau, mehr Aufwand für Ausbau und Komfort. Das ist die Bauweise der Zukunft und damit ein wahrhaftiger Beitrag zum Wohnungsbedarf für jedes Einkommen aber auch zu Klimaschutz und wahrhaftiger Nachhaltigkeit.
Dabei geht es nicht darum, alles Alte über Bord zu werfen. Aber wer das Bewährte mit dem Vorausschauenden verbindet, muss nicht immer nur reagieren. Der kann den Wandel auch selbst mit gestalten.
BIM allein recht aber bei weitem nicht aus, die Prozesse zu verbessern: „Arbeitsprozesse können dank IT schneller, effizienter und damit besser werden … ” [Anmerkung des Website-Betreibers: Aufgrund des unklaren Urheberrechts in diesem Fall müssen wir leider auf die Nennung des Zitats verzichten, das der Kommentator an dieser Stelle seines Beitrags eingefügt hat.]