Nölling: Sprechen wir über Geschäftsmodelle.
Es gibt ja eine ganze Menge Dimensionen im Bereich der Digitalisierung. Es gibt Neubau, es gibt Bestand, es gibt Software, Hardware, es gibt Smart Home, Smart Building, Smart City. Das Ziel ist es, effizienter zu werden.
Wir haben schon über Prozesse geredet. Es ist teilweise auch bei Kunden das Ziel – zum Teil auch ein ganz klarer Wunsche – neue Geschäftsmodelle zu denken. Also auch Wohnen als Service. Eine oft geäußerte Sorge ist, dass man irgendwann nur noch der ist, der Wand und Dach zur Verfügung stellt und andere machen dann in den Häusern die spannenden Geschäftsmodelle mit den Mieterinnen und Mietern.
Unsere Wahrnehmung ist also: Das konkrete Geschäftsmodell wird noch gesucht, das konkrete Modell ist noch gar nicht klar. Es gibt da ja verschiedene Möglichkeiten.
In einem Podcast forderten Sie zuletzt eine Reform der Betriebskosten. Die wurden zuletzt 2004 angefasst. [Einwurf von Frau Esser: “Minimal!”] Seitdem hat sich aber ganz viel getan. Es gibt ja ein starkes Argument und das heißt “Digitalisierung ist extrem crossfunktional!”. Das heißt, in der Natur der Digitalisierung – und das gilt nicht nur für die Wohnungswirtschaft oder die Immobilienbranche, sondern ganz generell – hat es ja etwas sehr crossfunktionales. Und das gilt natürlich auch für den Posten “Betriebskosten”.
Da nun die Frage: Ist das der goldene Weg beim Stichwort Geschäftsmodell? Sind die Betriebskosten der entscheidende Hebel? Oder ist das nur ein Aspekt von mehreren?
Und die offensichtliche Frage gleich hinterher, die an dieser Stelle häufig gestellt wird: Was kann ich tun, um nicht nur die nächste Miete zu erhöhen? Die Sorge, die dahintersteckt, ist ja berechtigt. Wie ist da Ihre Sichtweise?
Esser: Sie haben es auf den Punkt gebracht. Wir kriegen keine Geschäftsmodelle auf die Straße, solange wir das ausschließlich als “Fahrleistung” anbieten. Es muss irgendwann einmal eine digitale Gebäude-Grundausstattung geben und die ist in der Miete inkludiert. Anders funktioniert das nicht. Also z. B. schnelles Internet im gesamten Gebäudeumfeld. Das muss eine Leistung des Vermieters sein und die muss inkludiert sein. Sonst funktionieren ja auch die ganzen Devices nicht, die eingebaut werden.
Ich hatte vorhin das Projekt BaltBest angesprochen. Wir brauchen ganz zwingend eine digitale Nutzerführung beim Heizen! Das heißt: intelligente, digitale Thermostate. Die soll der Mieter nicht im Baumarkt einkaufen, sondern die müssen da sein. Und da muss ich eben auch in inklusiven und in teil-inklusiven Modellen denken.
Ein weiteres Thema: Wir werden diesen klimaneutralen Gebäudebestand nicht hinkriegen, ohne die massive Erzeugung von erneuerbaren Energien. Dann muss ich aber auch einen bestimmten Anteil der erzeugten Energie in die Miete inkludieren. Der Mieter hat darüber hinaus zwar die freie Wahlmöglichkeit des Anbieters. Das, was vor Ort erzeugt wird, muss aber dennoch inkludiert sein.
Oder E-Mobilität. Solange wir darüber reden, dass wir einen Parkplatz vermieten und die Wall-Box extra kostet und dann noch der Strom irgendwo bezogen werden muss, wird daraus kein Geschäftsmodell. Ein Geschäftsmodell wird erst daraus, wenn ich einen Parkplatz mit Wall-Box und pauschalem Strombezug vermiete, der vor Ort erzeugt wird. Da müssen wir hinkommen, aber natürlich immer unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit. Wir können hier nicht Inklusive-Lösungen anbieten, die nicht mindestens so wirtschaftlich sind, als wenn der Mieter es woanders beziehen würde. Das muss die Nebenbedingung sein.
Dazu kommt die Schaffung eines kostengünstigen Standards. Das wird natürlich nicht der High-End-Standard der Digitalisierung sein, aber von diesem einfachen Standard ausgehend hat der Mieter die Möglichkeit, andere Levels, also höhere Standards zu wählen. Einige unserer größeren Unternehmen arbeiten damit schon ganz gut. Aber der Standard-, der Basis Case, der muss meines Erachtens in der Miete inkludiert sein.
Nölling: In dem Bild, das Sie sehen, wird es also eine Basis-Ausstattung geben, die sinnvollerweise Teil der Betriebskosten sein wird. So wie heute schon Aufzug, Messdienst oder Grünpflege. Als Mieterin oder Mieter habe ich dann Wahlmöglichkeiten – wie ein Opt-In. Ich kann also zusätzliche Services buchen und die werden dann separat mit dem Eigentümer, mit dem Wohnungsunternehmen abgerechnet.
Esser: Genau! Dadurch habe ich die Basis-Ausstattung des Gebäudes schon mal abgedeckt. Und das ist ja momentan unser Problem. Dass wir dafür kein Geschäftsmodell finden, wie wir die Basis-Ausstattung, zumindest im Bestand, abdecken. Da müssen wir hinkommen, denke ich.
Nölling: Wenn wir beim Geschäftsmodell bleiben: Was wir sehen, ist die crossfunktionale Logik von Digitalem. Was wir sehen bei KIWI, und auch bei anderen PropTechs, mit denen wir uns natürlich unterhalten, ist ein großes Interesse an der Lösung. Weil ein Mehrwert erkannt wird. Also ganz offensichtliches ist es sinnvoll, ohne physischen Schlüssel und das ganze Schlüsselmanagement Türen zu öffnen. Und damit kriegt man auch mal schnell einen Fuß in die Tür und man kann die ersten Pilote machen.
Ein spannender Punkt ist dann immer: Wann und wie geht es dann in den Rollout? Und dann ist es wichtig zu rechnen. Das ist nachvollziehbar. Wie wird das eigentlich finanziert?
Und dann sehen wir – und zwar gar nicht, weil es nicht verstanden wird, dass es crossfunktional ist, sondern weil es schwierig ist zu rechnen – dass Kunden in die Falle tappen, in unserem Fall zu sagen, ich rechne einfach den physischen Schlüssel dagegen. Der kostet jetzt 49 Euro, und jetzt kostet mich KIWI Summe X, und unter dem Strich spare ich ja gar nicht so viel.
Sie hatten ganz am Anfang gesagt, die ersten Erfolge gibt es bei der Digitalisierung des Prozessmanagements, in den Vermietungsprozessen. Und wir sehen, dass da viel Wissen noch notwendig ist um zu sagen “Wie greife ich mit digitalen Prozessen ein?” und “Welche Kosten kann ich wirklich dagegen rechnen, damit ich vor mir selbst, als Wohnungsunternehmen, so ein Invest rechtfertigen kann?”. Am Ende muss schließlich in irgendeiner Form investiert werden. Und ich kann nicht alles dagegen rechnen, auch wenn wir am Ende eine Basis-Ausstattung zu den Betriebskosten zählen.
Das Crossfunktionale macht es also schwierig, eine sinnvolle Rechnung aufzustellen. Welche Ideen gibt es von Ihrer Seite, der Wohnungswirtschaft da zu helfen, also Cases zu rechnen? Ist das etwas, das auch im DigiWoh passieren kann?
Esser: Eines ist vollkommen richtig. Ich kann schlecht einen analogen Prozess mit digitalen Devices fortführen. Das ist einfach der falsche Weg. Ich muss mir dann tatsächlich den Prozess insgesamt anschauen und ihn auch digitalisieren. Und das fällt an der einen oder anderen Stelle den Kolleginnen und Kollegen in den Wohnungsunternehmen mit ihrem übergroßen Erfahrungsschatz schwer. Und da haben wir sicherlich noch ein ganz dickes Brett vor uns, wie wir die vielen Mitarbeiter, die wir haben, da auch weiterentwickeln. Das ist auch ein Lern- und Schulungsthema. Das kann ich nicht von oben herunterbrechen.
Aber an der Stelle müssen wir natürlich weiterkommen. Und da haben wir einige größere Unternehmen, die tatsächlich jetzt ausprobieren, die auch mal rechnen. Zum Beispiel die Nassauische Heimstätte in Frankfurt mit ihrem Hubitation, die dann tatsächlich mal größere Piloten aufsetzt und auch wirklich checkt, wie das ablaufen könnte. Die degewo hat ja auch ein Real Lab, eine Deutsche Wohnen und eine Vonovia sind da ebenfalls weit vorne.
Ich glaube, dass wir einfach mal größere Bestandsbereiche – 1.000 Wohnungen, 3.000 Wohnungen – einfach mal vernünftig ausstatten sollten. Und dann wird ausgetestet und gerechnet. Das sind ja alles Unternehmen, die rechnen können! Und die finden dann ja vielleicht Wege.
Am Ende des Tages müssen die Unternehmen an der einen oder anderen Stelle auch mal in Vorleistung gehen. Es ist ja nicht so, dass sich jede Modernisierung zu 100 Prozent rechnet. Da geht es ja auch um Werterhalt und Wertsicherung. Und da wird man vielleicht an der einen oder anderen Stelle, gerade bei der technischen Ausstattung der Gebäude, in Vorleistung gehen müssen.
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Der Experte für Wohnungswirtschaft Karsten Nölling ist seit September 2016 Vorsitzender der Geschäftsführung der KIWI.KI GmbH. Bereits seit Ende 2014 war er als Vertriebsleiter bei KIWI tätig und Mitglied des Executive Committees. Vor KIWI entwickelte er als Firmengründer einen digitalen Concierge Service für Hotels und war als Head of Operations für das Startup 9flats verantwortlich. Davor war Karsten Nölling Unternehmensberater bei McKinsey & Company und Projektleiter für Lean Manufacturing bei Mercedes-Benz. Sie finden ihn auf Twitter und LinkedIn.