Ein Experten-Beitrag von KIWI-CEO Karsten Nölling, der erstmals bei Blackprint-Booster im Rahmen der REAL PropTech 2020 veröffentlicht wurde.
Alle reden über offene Plattformen, auch der Begriff und die Bedeutung der API-Schnittstelle ist vielen Akteuren in der Wohnungs- und Immobilienbranche zunehmend geläufig. Offen bleibt häufig allerdings die Frage, was eigentlich eine offene Digital-Plattform genau ist und warum sie für die Branche wichtig ist.
Offene Plattformen am Beispiel des digitalen Türzugangs
Mit KIWI und dem digitalen Türzugang sind wir beim Thema offene Plattformen aus vielen Gründen Treiber und zugleich Getriebene. Einfache Use-Case-Fragen veranschaulichen das gut: Warum sollte eine Mieterin, die ihren Mietvertrag digital unterzeichnet hat, nicht auch gleich ihre benötigten Zutrittsrechte digital für die Immobilie erhalten, wenn dieses technisch bereits möglich und markterprobt ist? Warum sollte ein Bewohner nicht in der Lage sein, seinem Pflegedienst selbstständig Zugang zu Haus- und Wohnungstüren einzuräumen, wenn digitale Lösungen es ermöglichen, diese Zugangsrechte nach dem Auszug des Mieters automatisch erlöschen zu lassen? Der Vermieter müsste keine „versteckten“ Zutrittsrechte fürchten. Und warum sollten Mieter neben einer bereits vorhandenen Mieter-App eine weitere App nutzen, um mit dem Smartphone Haus- und Wohnungstüren zu öffnen, wenn eine Verknüpfung beider Angebote sinnvoll und realisierbar ist? Alle drei Fragen sind letztlich ein Plattform-Thema – und lassen sich mit dem Einsatz von offenen Schnittstellen lösen.
Der Türzugang in Mehrfamilienhäusern, in Mixed-Use-Objekten und auch in reinen Gewerbeimmobilien ist also per se ein Schnittstellenthema. Eine Vielzahl unterschiedlicher Personengruppen muss Zugang erhalten – mitunter auch nur zeitlich begrenzt. Die Immobilieneigentümer müssen dabei über ein teilweise komplexes Rechtemanagement und unter Beachtung des Datenschutzes sowie hoher Sicherheitsanforderungen die Zugangshoheit behalten. Dabei sollen die individuellen Nutzer nicht in redundanten Systemen erfasst werden und keine weitere Silo-Applikation aufgebaut werden.
Während KIWI alle genannten und viele weitere Use Cases heute schon markterprobt abbildet, gibt es in anderen Arbeitsfeldern der Wohnungswirtschaft lediglich “Insellösungen”, die nur für sich, aber nicht im Zusammenspiel mit anderen, bereits vorhandenen digitalen Lösungen funktionieren. Der Grund dafür sind fehlende offene Schnittstellen und damit eine fehlende gemeinsame Plattform. Besonders deutlich wird das Fehlen solcher offenen Plattform in der Immobilienbranche an einfachen Beispielen aus anderen Branchen.
Ein Blick in andere Branchen
Jeder von uns kann heute ein neues Konto bei einem Mietwagenanbieter in weniger als 10 Minuten erstellen und sofort den Mietwagen nutzen – inklusive digitaler Führerschein-Verifikation über einen Drittdienstleister des Mietwagenanbieters. Gleiches gilt für die Eröffnung eines neuen Bankkontos, auch das kann jeder von uns in weniger als 10 Minuten inklusive ID-Verifikation erstellen. Noch interessanter als die Perspektive des Kunden ist der Blick auf die beiden Prozesse aus Sicht der Mietwagenfirma oder der Bank: In beiden Fällen gibt es keinen manuellen Aufwand – der Prozess läuft vollautomatisiert ab. Bei größerer Nachfrage müssen nur weitere Serverkapazitäten zur Verfügung gestellt werden, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können sich auf sinnvollere Tätigkeiten konzentrieren.
Wichtige Voraussetzung sind digitale Produkte und digitale Prozesse
Eine wichtige Voraussetzung für die beiden skizzierten Beispiele ist, dass sowohl Produkt als auch Prozess ausreichend digital gestaltet sind. In beiden Fällen ist das mit relativ wenig externen Schnittstellen möglich – oder anders formuliert: Die jeweiligen Unternehmen verfügen über eine große Systemhoheit über Produkt (digitales Auto, digitales Konto) und Prozess (Car-Sharing-App, Konto-App). Entsprechend ist eine digitale Plattform mit nahtlosen Prozessen in den Beispielen relativ einfach erreichbar.
Dies ist bei Immobilien anders: Hier sind von Türen und Toren bis zu Heizungen und Solaranlagen nahezu ausschließlich alleinstehende und nicht vernetzte Fremdprodukte verbaut – die für sich aber alle zunehmend digital sind bzw. noch werden. Gleichzeitig werden auch die Prozesse zunehmend digital, vom digitalen Mietvertrag bis zur Mieter- und zur Handwerker-App. Und auch hier gibt es zahlreiche Anbieter. Entsprechend ist die Systemhoheit über Produkt (also letztlich das digitale Gebäude) und Prozess aus Sicht der Immobilieneigentümer gering und im Ergebnis die Bedeutung offener Plattformen groß.
Gibt es die eine offene Plattform? Und das eine Geschäftsmodell?
An der Stelle auch eine wichtige Klarstellung: Es gibt nicht die eine offene Plattform. Richtiger muss man eigentlich von offenen technischen Schnittstellen reden, die die Dienstleister der Immobilienbranche individuell untereinander schaffen und warten – auch wenn ERP-Systemen dabei natürlich eine besondere Bedeutung zukommt. So wenig, wie es die eine offenen Plattform gibt, gibt es auch nicht das eine Geschäftsmodell. Auch hier müssen Immobilienunternehmen und Dienstleister kreativ werden. Vorbilder zur Orientierung wie pay per use gibt es aber natürlich zur Genüge.
Ein Blick in die Zukunft anhand des Fallbeispiels Vermietung
Übertragen wir einmal die oben genannten Beispiele Kontoeröffnung oder Anmietung eines Car-Sharing-Autos auf die Immobilienbranche und dort konkret auf den Vermietungsprozess einer Wohnung. Wie sieht dieser Prozess heute aus? Für den Mietinteressenten ist dieser Prozess langwierig und oft frustrierend – ebenso wie für das Wohnungsunternehmen, denn der Arbeitsaufwand ist beachtlich. Nach Schätzungen des PropTech-Unternehmens Everreal entstehen Wohnungsunternehmen heute 20 Stunden Arbeit bei der Neuvermietung einer Wohnung. Grund dafür ist, dass Produkt und Prozess nicht ausreichend digital gestaltet sind.
Auch die Neuvermietung einer Wohnung kann grundsätzlich genauso automatisiert ablaufen wie die Neuanmietung eines Autos. Mit einer offenen Plattform und integrierten Systemen ist es z. B. denkbar, dass eine Mietinteressentin durch die Stadt läuft und dem Suchprofil entsprechende Wohnungen automatisch auf ihrem Handy angezeigt bekommt. Bei Interesse erhält die Interessentin nach vorheriger Identifikation und optionaler Hinterlegung einer Kaution einen temporären Zugang zur Wohnung. Und wenn die Wohnung den Wünschen entspricht, unterschreibt die Mieterin direkt den digitalen Mietvertrag – Zählerstände werden automatisch abgelesen, der Name am Klingeldisplay wird automatisch aktualisiert und die Einladung zur Mieter-App kommt im selben Moment. Und das alles mit nicht einer Minute manuellem Aufwand für das Wohnungsunternehmen. Die freiwerdende Zeit können die MitarbeiterInnen des Wohnungsunternehmens z. B. in positive Kundenbindung investieren.
Jetzt ist die echte technische Integration gefragt
Wie gezeigt, ist die offene Plattform konzeptionell angekommen, auch erste Use Cases laufen. Aber in der Breite ist das Thema noch nicht verankert und die vielen Vorteile können nicht genutzt werden. Daher ist es wichtig, jetzt die technische Infrastruktur mit konkreten Use Cases zu stärken und an positiven Beispielen die Vorteile erlebbar zu machen. Die Geschäftsmodelle werden automatisch folgen. Aus diesem Grund hat KIWI mit Partnern wie z.B. Datatrain, Promos und Wohnungshelden den ersten Plattform-Hackathon der Branche gestartet, der auch als eigener Track auf der Real PropTech läuft. Hier coden die Entwickler der Unternehmen live an konkreten Use Cases für die Branche.
Der Experte für Wohnungswirtschaft Karsten Nölling ist seit September 2016 Vorsitzender der Geschäftsführung der KIWI.KI GmbH. Bereits seit Ende 2014 war er als Vertriebsleiter bei KIWI tätig und Mitglied des Executive Committees. Vor KIWI entwickelte er als Firmengründer einen digitalen Concierge Service für Hotels und war als Head of Operations für das Startup 9flats verantwortlich. Davor war Karsten Nölling Unternehmensberater bei McKinsey & Company und Projektleiter für Lean Manufacturing bei Mercedes-Benz. Sie finden ihn auf Twitter und LinkedIn.